Eine Lobby für unsere Branche

Nur gemeinsam lässt sich politisch etwas bewegen. Genau hier setzt Lobbyarbeit an. Wie sie funktioniert – und welche Rolle Verbundgruppen spielen.

Pandemie, Lockdown, geschlossene Läden: Händlerinnen und Händler standen 2020 mit dem Rücken zur Wand. „Wie soll ich jetzt noch Umsätze generieren, meine Mitarbeiter, meine Miete bezahlen?“, fragten sich viele. „Der Frust war riesig“, erinnert sich ANWR-Vorstandschef Frank Schuffelen. Von einem Tag auf den anderen stand der stationäre Handel still. „Wir mussten schnell reagieren.“

Was er meint, zeigte sich in den Tagen und Wochen darauf überdeutlich. Denn das Finanz- und Wirtschaftsministerium bezog die ANWR GROUP sowohl unmittelbar als auch über Interessenverbände in die Krisengespräche ein. Vorstände wie Schuffelen waren bei der Konzeption und Ausgestaltung von Finanzierungs- und Überbrückungshilfen gefragt, auch um KfW-Schnellkredite ging es auf höchster Ebene. Doch damit nicht genug. Weil der Non-Food-Handel (Schuhe und Sport) im Vergleich zu anderen Branchen benachteiligt wurde, bäumte sich die Lobby aus Verbänden und Partnern auf, reichte Klagen und Schriftsätze ein, ackerte Tag und Nacht.
„Unser zentrales Anliegen: Schuhe gehören zur Grundversorgung, gerade für Kinder und für Menschen mit orthopädischen Bedürfnissen. Der Aufwand und die Intensität unserer gemeinsamen Anstrengungen waren enorm“, erinnert sich Schuffelen. „Es war ein Kraftakt, der die ganze Branche gefordert und zusammengeschweißt hat.“ In Bayern gelang uns ein kurzfristiger Erfolg: Für eine Woche setzten wir durch, dass Schuhgeschäfte in Bayern wieder öffnen durften, während viele andere Non- Food-Branchen noch geschlossen blieben. Ein wichtiges Signal. „Diese herausfordernde Phase hat uns gezeigt, dass politische Interessenvertretung Wirkung entfalten kann – aber auch, wie unverzichtbar ein Draht zur Politik ist“, resümiert Schuffelen.

Wozu Lobbyarbeit?

Lobbyarbeit wird in unruhigen Zeiten immer wichtiger. Auch deshalb engagiert sich der Vorstandsvorsitzende der ANWR GROUP unter anderem im Wirtschaftsrat Deutschland, dem Handelsverband Deutschland (HDE) und im DER MITTELSTANDSVERBUND – ZGV e. V., der in Berlin und Brüssel die Interessen von ca. 230.000 mittelständischen Unternehmen vertritt. Wichtig ist ihm: „Interessenvertretung heißt für uns nicht, Einzelinteressen durchzusetzen, sondern die Belange unserer Gemeinschaft sichtbar zu machen.“ Doch wie gelingt es eigentlich, Belange der Gemeinschaft sichtbar zu machen?
„Lobbyarbeit verständlich zu machen, braucht etwas Fingerspitzengefühl“, erklärt seine Vorstandskollegin, Martina Novotny. Sie engagiert sich im europäischen Dachverband Independent Retail Europe (IRE), der die Interessen von Verbundgruppen und kooperierenden Händlern auf EU-Ebene vertritt. „Nach außen sieht man meist lange nichts und dann das Ergebnis – dass eine Tür aufgeht. Dahinter stecken oft jahrelange Netzwerkarbeit und viele Gespräche.“

Der Austausch mit anderen Handelsbranchen in dem europäischen Netzwerk sei jedoch immer ein großer Gewinn. „Wo überschneiden sich unsere Interessen, welche Argumente können wir gegenüber der Politik bündeln, um Veränderungen durchzusetzen?“ Gremien schaffen dafür die Plattform – ob im Kleinen oder bei großen zukunftsweisenden Fragen. Ein Beispiel für Letzteres ist der Austausch mit der Europäischen Zentralbank. In einer Gesprächsrunde mit EZB-Präsidentin Christine Lagarde diskutierte Martina Novotny mit vielen Kollegen aus unterschiedlichen Bereichen und Firmen die Einführung des digitalen Euro – ein Thema mit weitreichenden Auswirkungen auf den Zahlungsverkehr im Handel. „Solche Begegnungen zeigen, dass wir die Chance haben, frühzeitig an prägenden Entscheidungen mitzuwirken“, so Novotny.

Raum für Händlerstimmen

Auch einzelne Händlerstimmen finden Gehör. So etwa bei einer Veranstaltung im Europäischen Parlament, organisiert von IRE gemeinsam mit SME Connect, einem parteiübergreifenden europäischen Netzwerk zur Stärkung kleiner und mittlerer Unternehmen auf EU-Ebene. Dort diskutierten unabhängige Einzelhändler aus ganz Europa mit Abgeordneten und Politikberatern über die Bedeutung des stationären Handels, seine Herausforderungen und die Unterstützung, die er von der EU braucht. Mit auf dem Podium: Britta Goertz, Schuhhändlerin und Mitglied im Aufsichtsrat der ANWR GROUP. Sie machte deutlich, welche Rolle kooperative Modelle und lokale Händler für Wettbewerb, Innovation und lebendige Gemeinschaften spielen. Ihre Botschaft: „Helft uns, einen fairen Wettbewerb zu etablieren, um die regionale Wirtschaft zu stärken und nachhaltige und sichere Produkte für die europäischen Verbraucher zu garantieren.“ Denn gemeinsam, so ist sie überzeugt, können wir einen starken und sicheren europäischen Markt schaffen.

Das Kämpfen um Fairness braucht langen Atem: Beispiel Temu

Fairer Wettbewerb: Die Rede ist dabei auch von Online-Billigwarenhändlern wie Temu und SHEIN. Gemeinsam mit anderen Non-Food-Organisationen hat die ANWR GROUP über den HDE ein Gutachten finanziert, das die Geschäftspraktiken von Temu und SHEIN analysiert und juristisch bewertet hat. Es stellt die Grundlage dar, um Missstände offenzulegen. Frank Schuffelen hat – wie viele andere – diese Missstände immer wieder adressiert, unter anderem via LinkedIn. Zuletzt zeigte die Arbeit Wirkung: Nach monatelanger Prüfung hat die EU-Kommission vorläufig festgestellt, dass der chinesische Anbieter gegen europäisches Recht verstößt. Milliardenschwere Bußgelder stehen im Raum. „Ein erster Erfolg“, so Schuffelen. „Doch klar ist auch: Der faire Wettbewerb für unsere Händler muss weiter erkämpft werden.“

Mit Sichtbarkeit und Beharrlichkeit

Egal, um welches der vielen Themen es geht – klar ist: Damit Interessenvertretung wirken kann, braucht es Sichtbarkeit. „Je besser die Politik weiß, wofür die ANWR GROUP mit ihren Tochtergesellschaften steht und welche Themen wir vertreten, desto eher finden die Anliegen der Händler Gehör“, betont Frank Schuffelen. „Es geht also nicht darum, uns selbst in den Vordergrund zu stellen, sondern die Relevanz unserer Branche deutlich zu machen“, ergänzt Martina Novotny.

Der mittelständische Einzelhandel ist Motor der Volkswirtschaft, belebt Innenstädte und übernimmt als Arbeitgeber soziale Verantwortung für eine Vielzahl von Menschen. Er treibt Innovationen voran und stärkt die Regionen. „Viele kleinere unternehmergeführte Einzelhändler sollten deshalb nicht weniger gehört werden als einzelne große“, findet Händlerin Britta Goertz. „Der Einzelhandel soll sichtbar sein bei den Entscheiderinnen und Entscheidern.“ „Deshalb bündeln wir in der Interessenvertretung unsere Kräfte – damit aus vielen Stimmen eine starke wird“, pflichtet Schuffelen bei.

Irina Andorfer bringt es auf den Punkt: „Man braucht mitunter lange, bis man etwas erreicht. Es geht um Sichtbarkeit und darum, immer wieder eine weitere Kerbe reinzuschlagen. Und zur Wahrheit gehört auch: Manchmal funktioniert es, manchmal eben auch nicht.“ Doch wenn sich eine Sache gezeigt habe, dann diese, ergänzt Schuffelen: „Sichtbarkeit und Beharrlichkeit zahlen sich aus.“