Herr Haslinger, was macht eine gute Führungskraft aus?
Das Wichtigste ist sicherlich die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen. Durch passende Entscheidungen werden Ziele erst realisierbar. Das Thema „Entscheiden“ können Führungskräfte nicht outsourcen. Daneben ist auch Empathie wichtig. Zunächst geht es dabei um ein offenes Ohr für die Mitarbeiter und Kollegen. Wie geht es ihnen? Welche Ideen haben sie? Gemeint ist hier nicht ein standardisiertes Jahresgespräch, sondern ein regelmäßiges ehrliches und offenes Feedback. Darüber hinaus sollte sich Empathie auch in Richtung Kunden und des eigenen Unternehmens richten. Denn wer zielorientiert führen möchte, sollte die Unternehmens-, Mitarbeiter- und Kundenbedürfnisse kennen und in Balance bringen.
Empathisch und entscheidungsfreudig sollten Führungskräfte also sein. Noch etwas?
Anpassungsfähigkeit ist heute wichtiger denn je. Denn die Rahmenbedingungen verändern sich ständig – sei es durch gesellschaftliche, politische oder technologische Entwicklungen. Es ist wichtig, diese zu verfolgen und gegebenenfalls die eigenen Strategien und Ziele anzupassen. Ziele sind sowieso ein essenzieller Bestandteil guter Führung: Die Ziele müssen allen klar sein, und jeder muss wissen, welchen Beitrag er da-zu leisten kann. Ich glaube, dass viele Herausforderungen, die Führungskräfte heute haben, vor allem darauf zurückzuführen sind.
Das Ziel eines Unternehmens ist es doch in aller Regel, Gewinn zu machen und Geld zu verdienen.
Ein bisschen komplexer ist es schon. Die meisten Firmen wollen ja keinen Gewinn um jeden Preis und der Rest ist egal. Es gibt noch ökologische und soziale Ziele, eine hohe Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit sowie das Bestreben, innovativ zu sein und neue Produkte zu entwickeln. Welche dieser Ziele man mit welcher Intensität verfolgt, ist wichtig und sollte der Rahmen für alle weiteren Entscheidungen der Führungskräfte sein. Nur haben viele Unternehmen heute keine oder unklare Ziele. So ist eine effektive Führung nahezu unmöglich.
Was wäre ein solch klares Ziel?
Das beginnt damit, welche Kennzahlen für den Unternehmenserfolg wirklich relevant sind. Ein klassisches Beispiel aus dem Handel: Sind für unsere Ziele eher verkaufte Teile pro Kunde relevant oder zählt der Umsatz pro Kunde? In vielen Unternehmen werden schon seit Jahren die gleichen Kennzahlen verfolgt und hinterfragt, ob die Kennzahl auch heute noch ein guter Indikator für Erfolg ist.
Selbst mit klaren Zielen ist aber nicht jeder Mensch entscheidungsfreudig und empathisch. Gibt es geborene Führungskräfte und solche, die für den Job einfach nicht geeignet sind?
Meiner Meinung nach können Menschen alle nötigen Führungskompetenzen erlernen – und auch verlernen. Auch bei Empathie ist das möglich: Wer neugierig ist, mit anderen Positionen in den Dialog kommt und versucht, andere Standpunkte zu verstehen, wird Einfühlungsvermögen gewinnen. So öffnet man auch neue Perspektiven und schafft die Basis für frische Ideen.
Und wie erlerne ich Entscheidungsfähigkeit?
Natürlich kann man auch hier einen besseren Umgang erlernen. Spannend ist, dass viele Mitarbeitende in ihrem privaten Umfeld gar kein Problem damit haben, mutige Entscheidungen zu treffen. Im Job dagegen tun sie sich oft schwer damit. Häufig liegt das daran, dass die Ziele unklar sind und sie nicht wissen, auf welchen Kriterien ihre Entscheidungen basieren sollen.
Was Sie insgesamt beschreiben, ist ein eher partizipativer Führungsstil, der Mitarbeiter einbindet. Ist das die überlegene Herangehensweise im Vergleich zu klassischer direktiver Führung?
Beide Führungsstile haben ihre Berechtigung, man muss nur wissen, wann man welchen am besten einsetzt. Direktive Führung funktioniert, wenn es um Entscheidungen mit hoher Dringlichkeit geht, bei denen lange Abstimmungsprozesse hinderlich oder sogar gefährlich wären. Partizipative Führung beteiligt Mitarbeitende strukturiert an Problemlösung, Zielgestaltung und Umsetzung.
Gibt es auch außerhalb von Ausnahmesituationen Beispiele, in denen direktive Führung hilfreich ist?
Ein klassischer Fall sind Qualitätsstandards. Diesen Rahmen und die damit verbundene Klarheit sollte die Geschäftsführung schaffen. Darauf ausgerichtete Optimierungen und Verbesserungsvorschläge können jedoch eher partizipativ erreicht werden.
Wie kann gerade der Handel diese Balance finden?
Dazu müssen wir uns erst einmal die Ausgangssituation anschauen. Beim Handel hat direktive Führung Tradition. Das liegt auch daran, dass es im täglichen Geschäft nicht leicht ist, partizipative Prozesse einzuführen. Nehmen Sie mal Teammeetings, in denen Perspektiven und Ideen ausgetauscht werden. Das ist wichtig, aber im Verkaufsalltag oft nicht leicht zu organisieren.
Also hat es der Handel schwerer?
Einerseits ja, andererseits nein. Natürlich ist der Veränderungsdruck da und die Herausforderungen sind vielfältig, aber Handel war schon immer schnell. Man sieht sofort, ob etwas funktioniert oder nicht, und der Handel ist viel näher am Kunden als andere Branchen. Wir müssen dem Team mit seinen Potenzialen nur vertrauen.
Wie schafft der Händler denn nun mehr Partizipation?
Indem er klare Ziele definiert, seine Mitarbeiter machen lässt und Eigenverantwortung fördert. Letztendlich kann man viele Entscheidungen dem Team überlassen. Warum sollte von oben diktiert sein, bis zu welchem Warenwert Reklamationen angenommen werden? Auch die Personalplanung könnte man den Mitarbeitern überlassen. Gewisse Dinge, etwa Sortiments- und Preisgestaltung oder die Auswahl der verkauften Marken, betreffen die Unternehmensstrategie und sollten in der Verantwortung der Geschäftsführung liegen.
Viele Händler, die bisher noch alles selbst machen, dürften das lesen und erstmal Sorge haben, dass der Laden dann nicht mehr läuft. Können Sie denen die Angst nehmen?
Ich kann zumindest sagen, dass ein solcher Führungsstil viele Vorteile mit sich bringt. Prozesse auf der Verkaufsfläche werden unkomplizierter, wenn das Team selbst Entscheidungen treffen kann und sich nicht jedes Mal Erlaubnis einholen muss. Das merken die Kunden und individueller Kundenservice wird dadurch überhaupt erst möglich. Mitarbeiter, die selbst mitgestalten, haben auch mehr Freude an ihrem Job. Gerade junge Leute haben keine Lust auf starre Strukturen, die wollen sich ausprobieren. Und jeder, der einkaufen geht, weiß, welchen Unterschied es macht, wenn einem ein gut gelaunter Verkäufer begegnet.
Aber was, wenn doch was schiefgeht beim Wechsel hin zu mehr Partizipation?
Dann ist das so. Eine Fehlerkultur gehört zu einem partizipativen Führungsstil dazu. Wenn Sie Leute Entscheidungen treffen lassen und sie dann sofort in die Senke stellen, wenn etwas schiefgeht, dann trauen sie sich künftig nichts mehr und der gemeinschaftliche Ansatz ist gescheitert. Natürlich sind das Umstellungen, die etwas Zeit benötigen. Wir reden schließlich von einem Kulturwandel. Unternehmenskultur ist zäh wie Honig, die ändert sich nicht von heute auf morgen. Deswegen ist es eben wichtig, sich konstant auszutauschen, zu besprechen, was schon klappt und was nicht. Dann sollten Sie nachsteuern und nicht direkt den ganzen Wandel absagen.