Patagonia verkörpert seit Jahrzehnten einen Ansatz, der im Outdoor-Business einzigartig ist. Vom legendären Claim „Don’t buy this jacket“ bis hin zur konsequenten Eigentumsübertragung an eine Umweltstiftung – die Marke beweist, dass unternehmerischer Erfolg und radikale Verantwortung zusammenpassen können. Für viele ist Patagonia damit nicht nur Ausrüster, sondern Vorbild. Im Gespräch macht Stephan Hagenbusch, Patagonias Marketplace Director, die Philosophie des Outdoor-Artiklers deutlich.
Patagonia hat in den letzten Jahrzehnten viele Veränderungen durchlaufen. Welche Meilensteine waren entscheidend, damit sich die Marke von einer Bergsportmarke zu einer weltweit beachteten Purposegetriebenen Firma entwickeln konnte?
Patagonia war von Beginn an ein Unternehmen, das tief im Outdoor-Sport und dem damit verbundenen Leben in und mit der Natur verwurzelt ist. Bevor er Patagonia gründete, widmete sich Yvon Chouinard dem Schmieden von Kletterhaken und versuchte dabei, neu zu denken, wie wir mit dem Berg umgehen. Dies spiegelte sich damals wie heute in der Art und Weise wider, wie Patagonia das eigene Handeln und Wirtschaften neu denkt und verantwortungsvolles Wirtschaften als Grundlage aller Maßnahmen etabliert. Vom Wechsel zu Bio-Baumwolle und der Einführung von recyceltem Polyester über kostenlose Reparaturen bis hin zur Gründung von „1 % for the Planet“ gab es im Laufe der Zeit mehrere Momente, die unsere Unternehmenswerte aufzeigen. Am eindrucksvollsten für uns alle bei Patagonia war natürlich dann der Schritt der Chouinard-Familie im September 2022, das Unternehmen in eine Stiftung zu überführen und alle Gewinne seitdem an Umweltorganisationen zu spenden.
Mit dem Schritt, das Unternehmen in eine Stiftung zu überführen, haben Sie erklärt: „Earth is now our only shareholder.“ Können Sie erläutern, wie diese Struktur funktioniert? Ist das Zeitalter des reinen Wachstums für Patagonia vorbei?
Wir betrachten Wachstum als Selbstzweck sehr kritisch, sind aber keineswegs gegen organisches Wachstum. Entscheidend ist für uns verantwortungsbewusstes Handeln und dass wir unsere Gewinne zum Schutz unseres Planeten einsetzen. Der Schritt der Chouinard-Familie war dabei einzigartig und etwas, was viele im Unternehmen überrascht hat, da es ein solches Modell in der Art bisher nicht gab. Die offizielle Bekanntgabe im September 2022 durch Yvon Chouinard gab der Marke eine neue Struktur: Der Patagonia Purpose Trust existiert, um die Unternehmenswerte auch für die Zukunft zu sichern. Er hält alle stimmberechtigten Anteile des Unternehmens und sorgt dafür, dass zukünftige Entscheidungen auf Basis dieser Werte getroffen werden. Das Holdfast Collective auf der anderen Seite hält die finanziellen Anteile an Patagonia und erhält eine Dividende aus den nicht reinvestierten Gewinnen von Patagonia. Diese werden an das Kollektiv ausgeschüttet, um die Umwelt- und Klimakrise zu bekämpfen, die Natur und die Artenvielfalt zu schützen und für den Umweltschutz aktive Communitys zu unterstützen.
Welche Rolle spielt Gemeinwohlökonomie für Ihr Unternehmen und welche Impulse geben Sie damit der Branche?
Für uns ist klar, dass es kein Business auf einem toten Planeten gibt. Dies gilt für jedes andere Unternehmen genauso wie für uns, weswegen wir versuchen, sowohl innerhalb unserer Branche als auch mit Unternehmen aus ganz anderen Bereichen zu sprechen und gemeinsam Initiativen zu starten, die dadurch einen verstärkten positiven Einfluss haben können.
Welche Kennzahlen oder Benchmarks nutzen Sie, um Wirkung auf Umwelt und Gesellschaft zu messen, und wie können Handelspartner davon profitieren?
Als Teil der Science Based Target initiative (SBTi) setzen wir uns Ziele und betrachten verschiedene Ansätze, wie wir unseren Impact auf die Umwelt und den Planeten minimieren können. Ein wichtiger Bestandteil dessen ist die Arbeit mit Zulieferern und Partnern in unserer Wertschöpfungskette, da dort mehr als 90 % unserer Emissionen anfallen. Wir richten unsere Umweltinitiativen allerdings auch auf Resultate aus, die teilweise nicht messbar oder bezahlbar sind – etwa die Erschaffung des ersten Wildfluss-Nationalparks an der Vjosa in Albanien oder die Zusammenarbeit mit NGOs in Island zur Abschaffung von Lachsfarmen in den Fjorden. Durch unser Patagonia-Action- Works-Programm unterstützen wir seit vielen Jahren vor allem Grassroots-Umweltorganisationen, die vor Ort essenzielle Arbeit leisten.
Welche Bedeutung haben Services wie Reparatur oder Secondhand für Ihr Geschäftsmodell und wie binden Sie Händlerinnen und Händler dabei ein?
Reparaturen sind ein fester Bestandteil unseres Geschäfts und auch hier sind Händler essenziell, da sie teilweise ihren eigenen Service haben oder unsere Plattform nutzen, um Reparaturen einzuleiten und reparierte Kleidung wieder an den Kunden zurückzugeben.
Manche sagen, weniger Konsum sei die ehrlichste Form von Nachhaltigkeit. Wie gehen Sie mit diesem Spannungsfeld um, als Marke, die auch verkaufen muss?
Unser Gründer Yvon Chouniard hat mal gesagt: „Die beste Jacke, ist die, die man bereits besitzt.“ Und wir beziehen uns immer wieder darauf zurück. Es fängt mit der Qualität unserer Produkte an, da diese einen maßgeblichen Einfluss auf die Langlebigkeit und daher den Impact jedes einzelnen Kleidungsstückes hat. Wenn wir weniger, aber bewusster Kleidung kaufen und diese idealerweise für mehrere Aktivitäten und Sportarten verwenden können, dann ist es das Beste, was wir als Outdoor-Sportler machen können.
Begriffe wie „nachhaltig“ klingen mittlerweile abgenutzt. Wie definieren Sie diesen Begriff für Patagonia und wie vermeiden Sie den Vorwurf des Greenwashings?
Bei Patagonia reden wir nicht von Nachhaltigkeit, da wir uns eher als verantwortungsbewusstes Unternehmen bezeichnen. Jedes Produkt hat einen Fußabdruck und keins kann daher wirklich nachhaltig hergestellt werden. Wenn man sich dessen bewusst ist, kann man mit der Arbeit beginnen und sich den Aufgaben widmen, diesen Impact zu minimieren und durch Transparenz aufzuzeigen, was dafür notwendig ist.
Kritiker bemängeln Ihre Produktion in Asien und die damit verbundenen Arbeitsbedingungen. Wie stellen Sie Transparenz und Glaubwürdigkeit sicher?
Wir selbst sind unser größter Kritiker und schauen daher genau nach, wo und wie unsere Produkte hergestellt werden. Um diese Informationen auch für unsere Kunden transparent zu machen, teilen wir auf unserer Website die Standorte und Fabriken, mit denen wir für das jeweilige Produkt zusammenarbeiten. Ein wichtiger Bestandteil, um faire Arbeitsbedingungen sicherzustellen, ist unsere Partnerschaft mit Fairtrade. Mit diesem Herbst sind mehr als 90 % unserer Kollektion in Fairtrade-zertifizierten Fabriken hergestellt, und zusammen mit unseren Zulieferern arbeiten wir daran, diese Zahl weiter zu erhöhen und die Bedingungen in der Lieferkette nach und nach zu verbessern.
Wie wichtig sind Garantieversprechen und Serviceangebote, um Konsumenten wie Händlern zu zeigen: „Langlebigkeit ist bei uns kein bloßes Lippenbekenntnis“?
Qualität ist Teil unserer Kern-Unternehmenswerte und eines der wichtigsten Designprinzipien bei Patagonia, da sie in direktem Zusammenhang mit dem Impact eines Produktes steht. Langlebigkeit durch Qualität, aber auch durch Pflegehinweise und Reparaturangebote hat für uns Vorrang und ist etwas, was unsere Kunden und Handelspartner schätzen. Unsere Ironclad-Garantie wurde schon vor Jahrzehnten eingeführt und es ist wunderbar zu sehen, wie sich das Reparaturprogramm seitdem ausgeweitet hat. Wir selbst konnten im letzten Jahr mehr als 30.000 Produkte reparieren, und vor allem freut uns, dass mehr und mehr Brands diesen Service anbieten und Kleidung vor der Mülltonne retten.
Wie verändert sich Ihr Verhältnis zu Fachhändlern durch die neue Unternehmensstruktur und die konsequente Werteorientierung?
Verlässlichkeit in der Zusammenarbeit mit unseren Fachhandelspartnern war, ist und wird uns immer ein hohes Gut bleiben. Die neue Unternehmensstruktur hat dabei unser enges Verhältnis zum Fachhandel nicht verändert, sondern trägt eher dazu bei, es zu bewahren. Unsere konsequente Werteorientierung wird durchgehend als ein wichtiger Aspekt unserer Verlässlichkeit gegenüber Kunden und Handelspartnern wahrgenommen.
Welche Reaktionen erleben Sie aus dem Handel – eher Zustimmung und neue Chancen oder auch Widerstände?
In der überwältigenden Mehrzahl sind die Reaktionen äußerst positiv. Eine immer größere Anzahl von Handelspartnern teilt mittlerweile unsere Sicht auf verantwortliches Wirtschaften und Umweltschutz. Gerade Fachhändler profitieren auch ganz direkt von unserem Geschäftsmodell, da hohe Produktqualität in der Kombination mit einer klaren Wertevorstellung und umfassenden Services am Ende des Tages zu einer hohen Kundenzufriedenheit führt.
Ist diese Transformation hin zu einer missionsbasierten Marke letztlich ein Wettbewerbsvorteil im B2B-Geschäft?
Für uns ist all diese Arbeit keine Transformation, da ein Großteil dieser Initiativen bereits seit Jahrzehnten besteht und tief in den Unternehmenswerten verwurzelt ist. Unser Gründer hat einmal gesagt: „Jedes Mal, wenn wir das Richtige getan haben, war es auch gut für unser Business.“ Gleichwohl sehen wir diese Themen nicht als Wettbewerb an, sondern als etwas, wo vor allem Kooperation innerhalb der Industrie und mit anderen Partnern entscheidend ist, damit wir schonend mit planetaren Ressourcen umgehen und uns erst recht in der Outdoor-Industrie nicht die Grundlage unserer Existenz nehmen.
Wie unterstützen Sie Händler beim Storytelling, damit die Patagonia-Werte am Point of Sale glaubwürdig transportiert werden?
Wir kooperieren regelmäßig mit Händlern bei Aktionen wie Filmvorführungen zu Umweltthemen, Reparaturevents für die lokale Community oder bringen unsere Ambassadors zu Kletterveranstaltungen vor Ort. Händler sind ein wichtiger Kontaktpunkt für viele unserer Kunden und wir versuchen vor allem dort, durch Poster oder Aufsteller, über Themen wie Fair Trade, Reparaturen oder unsere Umweltkampagnen zu informieren. Wir wollen Kunden in diese Themen einbeziehen, und so kann man vor Ort zum Beispiel durch QR-Codes mehr über unser Engagement gegen Lachsfarmen in Island lernen oder durch Petitionen direkt aktiv werden.
Patagonia bezieht politisch Stellung, ob beim Schutz von Nationalparks oder beim Klimaschutz. Wie weit darf oder soll ein Unternehmen in gesellschaftliche Debatten gehen?
In erster Linie unterstützen wir Projekte, die einerseits in enger Verbindung zum Outdoor-Sport stehen und andererseits zum Schutz des Klimas oder wilder Orte wie von Flüssen, Bergen oder Meeren beitragen. Wir wollen den NGOs, die hinter dieser Arbeit stehen, eine Stimme verschaffen. Wir werden dort aktiv, wo wir glaubhaft sind und einen Beitrag zu diesen Projekten leisten können. Uns ist wichtig, dass wir durch unsere Kommunikation und unser Storytelling vor allem positive Gefühle und Hoffnung vermitteln und klar machen, dass jeder als Teil der Community zu diesen wichtigen Themen beitragen kann.