Abschied aus Passion

Seit 2006 führt Katja Mendel den AlpenStrand in Landshut, die Geschäfte laufen besser denn je. Trotzdem wird sie Ende des Jahres schließen.

Katja Mendel liebt ihren Beruf. Sie arbeitet gerne mit ihrem Team zusammen. Und für dieses Jahr erwartet sie das beste Ergebnis aller Zeiten. Theoretisch spricht alles dafür, dass diese Erfolgsgeschichte weitergeht. Praktisch hingegen wird sie bald enden.

Am 31. Dezember wird Katja Mendel die Türen des Outdoor-Fachgeschäfts AlpenStrand in Landshut zum letzten Mal öffnen und nachmittags zum letzten Mal abschließen. Der Hauptgrund für die Geschäftsaufgabe: Es mangelt an Personal, das Mendels Leidenschaft für den Handel mit ihr teilt. Mit diesem Problem ist sie nicht allein. In vielen Branchen herrscht derzeit ein Mangel an qualifizierten Fachkräften – in der Sozialarbeit und Kinderbetreuung, in der Gesundheits- und Krankenpflege. Aber auch den Handel plagen akute Nachwuchssorgen. Das EHI Retail Institute fand im vergangenen Jahr in einer Studie heraus: 80 Prozent der Personalverantwortlichen haben Schwierigkeiten, Fachpersonal für ihre Filialen zu finden. Und als der Handelsverband Deutschland die deutschen Einzelhändler im Sommer 2022 nach den wichtigsten Themen der Branche befragte, nannten 45 Prozent den Fachkräftemangel – noch vor den Coronafolgen (38 Prozent), dem Attraktivitätsverlust der Innenstädte (33 Prozent) oder dem Onlinehandel (27 Prozent).

Katja Mendel kann das gut nachvollziehen. Seit dem Jahr 2006 führt sie den AlpenStrand. Zuvor hatte sie unter anderem als freie Handelsagentin für Jack Wolfskin gearbeitet. In dieser Rolle lernte sie auch den AlpenStrand-Inhaber Armin Dantl kennen, der sie für die Arbeit im Handel gewinnen konnte. „Ich wollte beweisen, dass der Fachhandel funktioniert“, sagt sie heute. Den Seitenwechsel von Lieferant zu Händler hat sie nie bereut, im Gegenteil: Seitdem ist sie jeden Tag mit einem Lächeln zur Arbeit gekommen. Es sei einfach ihr Antrieb, „Menschen in ihrer Freizeit glücklich zu machen“. Das spüren anscheinend auch die Kunden, die mitunter mehr als 100 Kilometer fahren, um sich im AlpenStrand beraten zu lassen. Das Team verfügt sowohl über Expertise als auch Gespür und weiß genau, für wen welcher Laufoder Bergschuh der richtige ist und mit welchem Equipment man am besten seine nächste große Bergreise plant. Dabei steht die Zufriedenheit der Kunden im Fokus, nicht der Umsatz. Kommt es zum Verkauf eines Bergschuhs, gibt es für die Kunden einen Schnaps. „Das bleibt als Erlebnis in Erinnerung“, sagt Mendel.

Alleine in diesem Jahr gab es drei Kündigungen. Damit die Kunden in Zeiten des omnipräsenten E-Commerce auch weiterhin in stationäre Läden gehen, braucht es gute Argumente. Aus Sicht von Katja Mendel sind das vor allem drei Dinge: Menschlichkeit, Fachkompetenz und Respekt. „Für diese Werte stehen wir“, sagt die 49-Jährige.

Doch die Menschen hinter diesem „Wir“ werden zumindest im AlpenStrand immer weniger. Alleine in diesem Jahr gab es drei Kündigungen. Aktuell arbeiten hier neben ihr und dem Inhaber Armin Dantl vier Vollzeit- und zwei Teilzeitkräfte sowie zwei 450-Euro-Kräfte. Viel zu wenig für ein Geschäft mit 640 Quadratmetern Verkaufsfläche über drei Etagen. Drei bis vier zusätzliche Vollzeitkräfte seien notwendig, um das Geschäft in der gewohnten Qualität weiterzuführen. Hier Abstriche zu machen, kommt für Mendel nicht in Frage: „Das wäre dann nicht mehr AlpenStrand.“ Auch eine Verkleinerung des Geschäfts kommt für sie nicht infrage. Denn als Spezialist führen sie ohnehin nur die beiden Segmente Outdoor und Running. „Das müssen wir dann auch mit einer entsprechenden Sortimentstiefe darstellen, sonst ist das nicht mehr authentisch“, sagt Mendel.

Gründe für den Personalmangel gibt es viele. Zum einen sind es die Arbeitszeiten am Wochenende, die potenzielle Kandidaten von einer Bewerbung im Einzelhandel abhalten. Hinzu kommt die vergleichsweise geringe Bezahlung. Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2020 raten sogar 60 Prozent der Einzelhandelskaufleute anderen von ihrem eigenen Beruf ab.

Eine Frage des Respekts

Katja Mendel hat daher alles versucht, um die Arbeitsbedingungen so angenehm wie möglich zu gestalten. Sie hat einmal pro Monat eine Vier-Tage- Woche von Dienstag bis Freitag eingeführt, die im Wechsel in Anspruch genommen werden kann.

Aufgrund des Personalmangels bleibt das Geschäft seit Mai an Montagen ohnehin geschlossen. Zwei Tage am Stück frei zu haben, ist also grundsätzlich immer möglich. Zudem zahlt sie den Mitarbeitenden mehr als der Branchendurchschnitt. Sie hatte sogar überlegt, eine Unternehmens-AG zu gründen und ihr Team an der Firma zu beteiligen, um ihnen einen zusätzlichen Bonus zu zahlen. Das Gehalt sei aber nur „Teil eines größeren gesellschaftlichen Problems“, sagt Mendel. Keine der Kündigungen wurde mit einem zu geringen Gehalt begründet.

Was ist also das eigentliche Problem bei der Personalsuche und -bindung im Einzelhandel? „Es fehlt an Wertschätzung für den Beruf“, sagt Mendel. Die beiden Mitarbeiter, die zuletzt kündigten, fühlten sich nicht mehr wohl bei ihrer Arbeit. Die Kunden hätten es oft an Respekt mangeln lassen.

Mendel veranschaulicht es am Beispiel ihres Wanderschuh-Services: Aus Nachhaltigkeitsgründen bietet der AlpenStrand an, Bergschuhe nicht nur neu zu kaufen, sondern beim Hersteller reparieren zu lassen. Dafür müssen sie allerdings halbwegs sauber sein. Viele Kunden geben sie jedoch vollkommen verdreckt im Laden ab. Also putzen Mendels Mitarbeiter circa 15 Paar Schuhe in der Woche, um den Service trotzdem zu ermöglichen. „Das ist nicht die Art von Wertschätzung, die unsere Berater verdienen“, sagt Mendel. Die Pandemie wirke sich zusätzlich negativ aus.

„Bei unserem Bestandspersonal haben sich andere Lebenseinstellungen entwickelt“, sagt Mendel, „die eigene Work-Life-Balance ist elementar geworden, Freizeit wichtiger als materielle Dinge.“ Wirtschaftlicher Erfolg auf der einen Seite, Personalprobleme auf der anderen Seite – welchen Anteil hat sie als Geschäftsführerin daran? Diese Frage hat sich Katja Mendel oft gestellt. Ihre Antwort: Sie hat zu viel selbst gemacht. Konnte eine Mitarbeiterin nicht, sprang sie sofort ein. Bei Problemen wollte sie selbst die Lösung sein. „Dadurch habe ich es meinen Mitarbeitern schwer gemacht, ein Gefühl dafür zu entwickeln, was es wirklich heißt, als Team im Einzelhandel zu arbeiten.“

Tränen zum Abschied

Stolz ist sie hingegen auf ihre Preispolitik. Seit Jahren steht der lokale Handel im Wettbewerb mit den Rabatten im Internet. Während andere auf schnelle Umsätze abzielen, hat AlpenStrand auf Service-Qualität und hohes Beratungsniveau mit stabilen Preisen und zahlreichen Stammkunden gesetzt. Mendel: „Diese Strategie funktioniert im stationären Fachhandel nach wie vor.“

Als sie ihre Entscheidung bei der letzten Outdoor-Messe in München offiziell verkündete, seien viele Tränen geflossen. Ob Kunden, Lieferanten oder Händler-Kollegen – alle sind sie fassungslos, dass ein so engagiertes Geschäft wie AlpenStrand wegen Personalproblemen schließen muss.

Eigentlich wollte sie den Laden eines Tages mal von Inhaber Armin Dantl übernehmen. Was nach AlpenStrand auf sie wartet, weiß sie noch nicht. Auf jeden Fall wolle sie „etwas bewegen“ und sich erstmal eine längere Auszeit in der Natur gönnen. Vielleicht reist sie in ihr Lieblingsland Schweden oder nach Island zu den Polarlichtern. Wo auch immer es sie hin verschlagen wird − ihre Zeit bei AlpenStrand wird für sie immer „unvergesslich gut und lehrreich“ bleiben. Und so schafft sie es, mit etwas Abstand auch zunehmend positiv auf ihre Situation zu blicken. Dabei fällt ihr ein Zitat vom Autor Walter Moers ein: „Es kommt nicht darauf an, wie eine Geschichte anfängt. Auch nicht darauf, wie sie aufhört. Sondern auf das, was dazwischen passiert.“

Text: Sandra Hummel
Fotos: Stefan Schütz

Service-Qualität und hohes Beratungsniveau mit stabilen Preisen sind Erfolgsfaktoren.

Inhaber Armin Dantl und Katja Mendel verzichten lieber auf das Geschäft als auf Qualität.