Das wahre Geschäft

Wer Stammkunden gewinnen will, muss echte Verbindungen aufbauen.

Jeden Samstag treffen sich zwischen 50 und 80 Menschen am Baldeneysee in Essen. Gemeinsam haben sie nicht nur, dass sie in ihrer Freizeit gerne joggen gehen, in kleineren Gruppen zusammen verreisen oder sich auch mal mit Sportwissenschaftlern zum Training treffen. Vor allem kaufen sie ihre Laufschuhe im selben Laden: Bei Marc Böhme, Geschäftsführer und Inhaber von Laufsport Bunert in Essen.

Der nämlich will in seinem Geschäft nicht einfach nur Schuhe anbieten: „Wir verkaufen auch Emotionen.“ Anstatt alleine auf rationales Fachwissen zu setzen, will Böhme die Leidenschaft der Kundschaft wecken. Deshalb organisiert Laufsport Bunert auch Sportreisen. Bei denen wird nicht nur gelaufen, sondern auch zusammen eine Region erkundet, zuletzt Andalusien. Und bei den regelmäßigen Lauftreffs können die Kunden neue Modelle testen, Böhme leitet sie persönlich.

Ganz schön viel Aufwand, oder? „Nur durch diese Leidenschaft wird mein Geschäft zukunftsträchtig“, sagt Böhme. Es reiche nicht, wenn sich der Einzelhandel auf die Beratung fokussiere: „Dann kaufen die Leute den ersten Schuh im Laden, aber alle weiteren im Internet.“

Es reicht nicht mehr,
vor der Umkleidekabine
Komplimente zu verteilen.

Will sich der Einzelhandel auch in Zukunft behaupten, reicht es nicht mehr, vor der Umkleidekabine Komplimente zu verteilen und mit Insiderwissen zu glänzen. Sicher, die Kunden wollen sich im Laden beraten lassen. Das wahre Geschäft hingegen liegt darin, Leidenschaft für ein Produkt zu transportieren, mit einem Lebensgefühl zu verbinden und dadurch echte Verbindungen aufzubauen. Aber die sind nicht mit Geld zu kriegen, sondern nur mit Geduld. Und mit Kreativität.

So wie im Falle von Carmen und Bernd Niebel. Das Ehepaar leitet in dritter Generation die gleichnamigen Modehäuser, die Leidenschaft für schicke Kleidung ist bei ihnen Familientradition – ebenso wie die Leidenschaft für besondere Erlebnisse mit ihren Kunden.

Seit etwa zehn Jahren laden die Niebels ihre 100 treuesten Stammkunden zu einem exklusiven Abendessen ins eigene Modehaus in Heidelberg ein. Auch bei den Mitarbeitenden gilt die Veranstaltung als echtes Highlight. Fast alle helfen mit, wenn die Tafel aufgebaut und passend zum jährlich wechselnden Motto eingedeckt wird. Carmen Niebel lässt es sich nicht nehmen, ihre Kunden an diesem Abend gemeinsam mit einer guten Freundin persönlich zu bekochen – auch weil sie dabei ihre Leidenschaft fürs Geschäft mit ihrer Leidenschaft fürs Kochen verbinden kann.

Bernd Niebel lädt die 100 besten Kunden zu einem exklusiven Dinner in das Modehaus.

Das perfekte Dinner

Angefangen hatte alles, nachdem Carmen Niebel im Jahr 2011 bei der TV-Show „Das perfekte Dinner“ gewonnen hatte. Bald darauf begannen die ersten Kunden zu fragen, ob sie denn auch mal zum Essen kommen dürften. Und die Niebels dachten sich: Ja, warum eigentlich nicht? So deckten sie zum ersten Mal ihre Tafel unter dem Motto „Das perfekte Modedinner“.

Seitdem haben sie unter anderem einen Märchenabend veranstaltet und das „Dinner for one“ umgesetzt, die Gerichte stehen im Zeichen des Mottos. Beim „Sport-Dinner“ gab es nur antialkoholische Getränke, beim „Schmankerl“ besonderes Bier, bei der „Denim Kitchen“ servierten die Mitarbeitenden den ersten Gang stilecht in einer Blechdose. Dieses Motto hatte sich Bernd Niebel gewünscht, denn sein Vater hatte das Einzelhandelsgeschäft 1963 eröffnet und in den Siebzigerjahren die Jeans in die Region Heidelberg gebracht. Serviert wird das Essen von den Mitarbeitenden. Die freuen sich, ihre Kundschaft auch mal in einem anderen Rahmen zu treffen. Verkauft wird aber bewusst nichts. „Die Kunden haben sich diesen Abend verdient“, sagt Carmen Niebel. Wer etwas kaufen möchte, kann natürlich vor dem Dinner in den Laden kommen.

Aber der Abend soll keine Verkaufsshow sein, er soll Freude bereiten. Er dient der Beziehung zwischen Team und Kundschaft – und eben der Leidenschaft für Mode, die sie alle teilen. Wichtig ist Bernd Niebel an diesem Abend deshalb auch, mit allen Gästen ins Gespräch zu kommen.

Ansteckende Begeisterung

Der Effekt ist nachhaltig: In den Wochen nach dem Dinner bekommen die Niebels viele begeisterte Nachrichten. Kunden kommen in den Laden, um sich zu bedanken und mancher fragt auch schon Monate vorher nach, ob er sich mit seinem aktuellen Ranking für das nächste Dinner qualifiziert. Die Leidenschaft greift auf die Kundschaft über. Mit dem Dinner schaffen die Niebels besondere Momente. Leidenschaft und ein gewisser sportlicher Ehrgeiz bei der Sache hängen eben eng zusammen. Und wenn er ehrlich und mit Lebensfreude ausgelebt wird, dann vereint er nicht nur im Geschäft, sondern er bringt Menschen in dem zusammen, was sie lieben.

So ist es auch bei Laufsport Bunert in Essen. Nach einem großen Lauftreff-Special hat Marc Böhme kürzlich mit seinen Kunden auf einem Boot gefeiert. Deo gabs dazu, „damit wir alle auf dem gleichen Level stinken“. Lohnt sich das denn? All der Aufwand, all die Zeit? Na klar, sagt Böhme, geteilte Leidenschaft schaffe eine Verbindung: „Diese Kunden hast du fürs Leben.“

Text: Isabell Prophet