Der Laden spricht für sich

Der Point-of-Sale ist wichtiger denn je, denn die Umgebung beeinflusst die Kaufbereitschaft. Deshalb müssen Händler Leidenschaft für ihre Produkte zeigen.

Viel Fläche und eine Wand mit Schuhen. Das ist das Erste, was beim Betreten von Mike Sethmachers (Bild oben) „Laufhaus“ in der sächsischen Gemeinde Oderwitz auffällt. Eine Bank aus Stein, Holz an den Wänden, eine Laufbahn auf dem Boden. Dann: eine Sitzecke, mit Sofa und Sesseln. Gemütlich und reduziert auf das Wesentliche: die Leidenschaft für Schuhe und den Laden als Ort, darüber zu sprechen.

Zeigt her Eure Füße

„Ich wollte es so einrichten, wie ich es selbst schön finde“, sagt Sethmacher. Sein Geschäft kurz vor den Grenzen zu Tschechien und Polen sollte sich abheben. „Wenn man die Herzen der Kunden erreicht, dann braucht man sich um ihre Köpfe nicht zu sorgen“, sagt Sethmacher, „das Kaufen kommt nebenbei.“ Bevor er seinen Laden im Jahr 2019 eröffnete, hatte er 29 Jahre lang in einem Autohaus gearbeitet, zuletzt als Führungskraft im Service. „Da kommen die Leute, weil sie kommen müssen. Ich wollte mit Menschen arbeiten, die kommen, weil sie kommen wollen.“

Quer durch sein Geschäft zieht sich eine Laufbahn. Wer Schuhe kauft, kann darauf seinen Lauf analysieren lassen. Erst barfuß, dann mit verschiedenen Modellen. Eine Hochgeschwindigkeitskamera zeichnet jede Bewegung auf, sodass er und sein Team die individuellen Bedürfnisse erkennen können.

Solch einen Service wird der reine Internethandel niemals bieten können, und daraus leitet Sethmacher seine Geschäftsphilosophie ab. Er wolle „preiswert“ sein, im wahrsten Sinne des Wortes: „Den Preis wollen wir wert sein.“ Deshalb verzichtet er im Zweifel auf Rabattaktionen und verschenkt zum Schuhkauf lieber Lauftrainings.

Wer mehr will, kann einmal im Jahr zum „Backyard Ultra“ antreten, bei dem gelaufen wird, bis keiner mehr kann. Bei Sethmacher wird nicht nur gekauft. Hier wird auch gelaufen. Da schadet es nicht, dass Sethmacher sein Sortiment sehr gewissenhaft auswählt: „Was wir verkaufen, das haben wir auch selbst getestet.“ So sei bisher noch jeder Kunde und jede Kundin fündig geworden.

Ökonomen sprechen vom „Point-of-Sale“ (PoS), Einzelhändler schlicht vom Laden oder Geschäft. Wer durch eine Fußgängerzone geht oder eines der großen Einkaufszentren, der sieht ganz unterschiedliche Konzepte: Viele Produkte, große Auswahl, einige Stücke gesondert präsentiert. Andere zeigen wenige Produkte auf großer Fläche, um die Ware stärker in Szene zu setzen. Doch für alle gilt: Der PoS ist mit der Leidenschaft fürs Produkt gestaltet – und mit der Leidenschaft für das Leben, das zu diesem Produkt gehört. Er transportiert das Gefühl der Zusammengehörigkeit: Was du suchst, das haben wir, denn wir mögen die gleichen Dinge. Diese Verbindung zwischen Verkaufenden und Kundschaft kann ein Geschäft transportieren, wenn die Liebe zur Sache aktiv gelebt wird. Wie eine Verkaufsfläche online oder in der physischen Welt aussehen muss, damit die richtigen Kunden kommen und kaufen, ist eine Frage von Erfahrung und Menschenkenntnis, gepaart mit der Leidenschaft der Geschäftsinhaber. Es ist aber auch eine Frage, mit der sich die Forschung beschäftigt.

Um herauszufinden, wie Kunden auf ein bestimmtes Verkaufsumfeld reagieren, setzt die Neurowissenschaft auf Elektroenzephalografie (EEG). Sie misst also Hirnströme, während Menschen durch einen Laden gehen und Produkte vergleichen. Auch Augenbewegungen werden erfasst. Zu den klassischen Erkenntnissen dieser Konsumentenforschung gehört zum Beispiel, dass runde Formen den Blick anziehen oder Rabatte das Gefühl vermitteln, mehr zu bekommen als zu bezahlen. Außerdem sollen Produktdisplays im Kassenbereich sehr gut funktionieren.

So gut sich das Verhalten der Kundschaft auch mit wissenschaftlichen Methoden beobachten lässt, die Interpretationen bleiben bisweilen schwammig und die Empfehlungen wage. Zu unterschiedlich sind Läden und Menschen, Produkte und Kaufanlässe. Für die einen mag die in schrillen Farben angekündigte Rabatt-Aktion attraktiv sein, die anderen fühlen sich gerade davon abgeschreckt, weil sie nach hochwertigen, aktuellen Produkten suchen. Einige schätzen Minimalismus, andere Wühltische.

Marion Bühler nutzt in ihrem Geschäft selbst produziertes Bildmaterial: Auf dem Plakat hinter der Theke ist ihre Tochter Sina abgebildet.

Gefühl statt Logik

Doch Konsumforschung kann das Internet auch selbst, im Zweifel durch die Auswertung der Daten schneller und präziser. Wer sich gegen die Konkurrenz des Online-Handels durchsetzen will, braucht mehr als ein paar hübsche Statistiken

Und genau hier kommt die Leidenschaft ins Spiel. Denn was ein EEG und ein Gerät zur Erfassung der Augenbewegungen können, das schaffen gute Verkäufer mit ihrer Hingabe an das eigene Geschäft und ihrer Neugierde auf die Kundschaft. So wie bei T+M Sport in Blaichach im Allgäu.

„Wir haben unseren eigenen Stil, das
ist authentisch und macht uns nicht vergleichbar.“

Wer das Geschäft betritt, wird begrüßt von Menschen, die ihren Sport lieben. Diese Passion drückt sich auch im Sortiment aus: „Wir bieten hier die Sachen an, die wir selbst brauchen: fürs Radeln, Wandern, Schwimmen im Sommer, fürs Skifahren im Winter“, sagt Geschäftsführerin Marion Bühler. T+M hält regelmäßig Ausschau nach kleinen, individuellen Marken, die in der Region noch wenig bekannt sind. An den Wänden im Laden hängen großformatige Fotos, darauf sind die Mitarbeitenden abgebildet. „Das macht natürlich mehr Arbeit“, sagt Bühler. „Aber so haben wir unseren eigenen Stil, das ist authentisch und macht uns nicht vergleichbar.“ Die Aufnahmen für die folgende Saison entstehen bewusst rechtzeitig: Jene für den Herbst schießt T+M im Frühjahr, damit für die Winterkollektion auch Schnee im Bild ist.

Marion Bühler von T+M Sport in Blaichach und Mike Sethmacher vom Laufhaus gestalten ihre Läden ganz bewusst mit Leidenschaft. Trotzdem ist auch das Internet für sie zum Point-of-Sale geworden. Er soll das Geschäft vor Ort aber nicht ergänzen, sondern eher beflügeln. Bei T und M Sport ist gerade der neue Online-Shop live gegangen. In diesen hat der Sohn ein halbes Jahr Arbeit gesteckt. Auch das Laufhaus Oderwitz plant einen eigenen Webshop, ebenfalls eher als virtuellles.

Schaufenster. Beide arbeiten aktiv mit Social Media: Bühlers Team veröffentlicht regelmäßig Fotos der Belegschaft in Stücken neuer Kollektionen. Mike hat eine Laufgruppe beim Sportnetzwerk Strava.

Gibt es einen Ort, der die Leidenschaft der Händler vor Ort besonders transportiert? „Die Toilette!“, sagt Sethmacher. Aus den Lautsprechern tönen Dschungelgeräusche, die Tapete zeigt Farne, Palmen und wilde Vögel, die Decke ist mit handgeschlagenem Zirbenholz verkleidet. Man möchte sofort die Trailschuhe anziehen und loslaufen.

Text: Isabell Prophet
Fotos: Claudia Masur, T+M Sport