Den Fantasiemuskel trainieren

Friedrich von Borries und Torsten Fremer sprechen im Interview über eine vernachlässigte Körperpartie.

I: Prof. Dr. Friedrich von Borries (links), Professor an der Hochschule
für bildende Künste Hamburg, und Dr. Torsten Fremer,
Vorstand der Agenturgruppe Units United und
Geschäftsführer der Agentur Klubhaus in Köln.

Torsten Fremer und Friedrich von Borries begeistern mit ihrem Monopol-Podcast „Fantasiemuskel – Kunst trifft Wirtschaft“. Mit ihrer Inititiative „Vorstellungskraft X“ trainieren sie zudem den Fantasiemuskel von Unternehmen. Höchste Zeit mal nachzufragen, wofür so ein Fantasiemuskel eigentlich gut sein kann.

Herr Fremer, Herr von Borries, Sie wollen Kunst mit Wirtschaft kombinieren. Wo sehen Sie da Möglichkeiten?

Torsten Fremer: Themen wie Nachhaltigkeit oder auch die neuen Arbeitswelten schaffen die Notwendigkeit für Veränderung. Meistens versuchen Menschen, die Herausforderungen von morgen mit den Lösungen der Vergan- genheit zu meistern. Hier braucht es neue Ansätze und die sind auch in der Kunst zu finden. Künstler gehen grundsätzlich sehr offen und experimentier- freudig an Themen heran

Friedrich von Borries: Was Kunst ausmacht, ist, dass alles machbar ist, alles vorstellbar. Diesen visionären Pragmatis- mus bringen wir mit der Wirtschaft zusammen. Was kann entstehen, wenn man gemeinsam denkt und sich auf neue Wege einlässt, sozusagen gemeinsam eine Vorstellungskraft entwickelt? Diese Suche haben wir angetreten.

Viele Unternehmen tun sich schwer, sich zu verändern. Warum ist das Ihrer Meinung nach so?

FvB: In vielen Unternehmen hat sich eine Unternehmenskultur durchgesetzt, in der man nur von Herausforderungen statt von Krise spricht, also sehr euphemistisch unterwegs ist. Wenn man in so einem Unternehmen immer nur fragt, „Hey, was willst du ändern und wie kommen wir nach vorne?“, dann hat das keinen so großen Effekt als würde man fragen: „Hey, was würdest du von dem, was du dauernd machst, eigentlich gerne nicht tun?“. Das ist ein schmerzhafter Prozess, aber Unternehmen sollten ihn gehen. Und dabei hilft eine gemeinsame Vision.

Wie müssen wir uns das vorstellen?

TF: Es ist wichtig, Zukunftsthemen neu zu framen, sich die Welt anders vorzustellen. Eine Welt, die anders tickt, weil wir zum Beispiel mit unseren Ressourcen anders umgehen müssen. Dafür brauchen wir Vorstellungskraft. Denn nur, wenn wir uns eine andere Welt vorstellen können, können wir uns daran machen, diese auch Wirklichkeit werden zu lassen. Das können wir trainieren.

Vorstellungskraft trainieren: Warum sollte man das tun?

TF: Als Kinder haben wir alle diese Fantasie. Leider wird diese mit der Zeit immer mehr in den Hintergrund gedrängt, unterstützt durch ein Schulsystem aus dem späten 19. Jahrhundert, in dem überwiegend das wiedergegeben wird, was schon da ist. Gleichzeitig wird überall Kreativität, Teamarbeit sowie schnelle und schlanke Lösungsorientierung gefordert. Dazu müssen wir diesen Fantasiemuskel wieder trainieren, um so der Fantasie und Vorstellungskraft freien Lauf zu lassen. Wir müssen die Freude wecken. Ein Trainingsprogramm erstellen, das Spaß macht. Die Kunst kann uns dabei helfen.

Können wir nicht einfach einen Ratgeber lesen?

FvB: Ein Ratgeber à la „Fünf Schritte zum kreativen Genie“ reicht leider nicht. Es ist ein Lernen im Tun, ein Sich-Selbst-Kennenlernen. Deshalb ist eine Unternehmenskultur wichtig, die das zulässt. Ich kann als Mitarbeiterin und Mitarbeiter eine Idee haben, und andere machen diese dann noch verrückter. Niemand sagt „Hey, das geht doch gar nicht“, sondern wir spinnen diese Idee gemeinsam weiter. So entsteht plötzlich etwas. Wir müssen für diese pragmatischen Utopien einfach Räume schaffen.

Pragmatische Utopie klingt abstrakt. Können Sie ein Beispiel machen?

FvB: Es gibt etwa ein Fashion-Label, das hat aus Überzeugung ein Netzwerk lokaler Produzentinnen und Produzenten im sächsischen Raum geschaffen, um möglichst nur lokal zu produzieren. Natürlich stößt man auch da an Grenzen. Das hat dann dazu geführt, dass sie plötzlich selbst anfingen, Landwirtschaft zu betreiben und Hanf angebaut haben, um über Rohstoffe für die Produktion zu verfügen. Das ist dieses typisch künstlerische Denken. Schauen, was ist da, welche Möglichkeiten gibt es, die wir einfach nur noch nicht verstanden haben. Wenn es noch nicht da ist, dann machen wir das halt.

Sie haben für Ihren Podcast „Fantasiemuskel – Kunst trifft Wirtschaft“ verschiedene Menschen im Gespräch, auch Unternehmerinnen und Unternehmer. Ist jemand besonders in Erinnerung geblieben?

FvB: Ein Beispiel: Wir haben mit einem Hersteller von Insekten-Vernichtungsmitteln gesprochen, der mit Künstlern im Rahmen einer Marketingaktion zusammenarbeiten wollte. Die Künstler haben das aber abgelehnt und gesagt, du hast ein Produkt, das Lebewesen tötet. Das machen wir nicht. Dieser Hersteller hat daraufhin sein Geschäftsmodell verändert und engagiert sich nun im Insektenschutz.

TF: Hans-Dietrich Reckhaus, so heißt der Mann, ist heute vollkommen beseelt von seiner erweiterten Aufgabe. Man spürt förmlich in jedem Satz, was ihn umtreibt, und er hat, glaube ich, heute viel mehr Spaß, weil er nicht nur der Zahl, sondern einem Ziel folgt. Da sieht man, dass Transformation, ausgelöst durch den Zusammenprall von Kunst und Wirtschaft, äußerst sinnstiftend und verändernd sein kann.

Vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Ullrich Lüke
Fotos: Stefan Wernz

Der Podcast

In ihrem Monopol-Podcast „Fantasiemuskel – Kunst trifft Wirtschaft“ sprechen Fremer und von Borries mit verschiedenen Menschen aus Wirtschaft, Kunst und Kultur. Gemeinsam diskutieren sie über Utopien, Vorstellungskraft, wie Transformation gelingen kann – und die spannenden Geschichten der Gäste.